„Grüß Gott!“ Das erste Vorwort Reimmichls im Kalender

„Grüß Gott!“ Landsleut sind da, ein alter Schreiber mit einem nagelneuen Kalender und bitten um Herberg. Den Schreiber kennt ihr schon lange [Reimmichl war 1920 bereits ein bekannter Mann. Anm.] und habt ihm viel Freundschaft entgegengebracht, den Kalender sollt ihr gleich kennen lernen.

Stellt sich aber manch einer ofenbreit in die Tür und sagt, es kämen zwei zu viel. Kalender fliegen ohnedies so viel herum, wie Krähen vor dem schlechten Wetter. – Fürs Erste will der Kalendermann nur ein halbes Stündl bei euch rasten, dann geht er wieder, und fürs Zweite ist der Kalender ein Euriger; er gehört nicht nur zu euren Landleuten, sondern auch zu eurem Haus, zu eurer Familie. Wenn ihr ihn einmal kennt, lasst ihr ihn gar nicht mehr fort. Und damit ihr ihn schneller kennen lernt, will ich euch etwas erzählen. Schon seit vielen Jahren hab ich den Plan gehabt, einen Kalender zu schreiben, und zwar einen richtigen Tiroler Kalender. Ich hab mir gedacht, wir sollten auch einen Kalender haben, der ganz zum Tiroler Land und zu den Tiroler Leuten passt. Ist aber keine Leichtigkeit, so einen bodenständigen Kalender zu machen. Schon einmal, damals vor drei Jahren, wäre der Kalender bei einem Haar herausgekommen, aber ich musste den Plan aus Münzmangel aufgeben. Die Zeiten wären zu teuer, hat es geheißen. Unterdessen sind die Zeiten doppelt so teuer geworden und trotzdem steht der „Tiroler Kalender“ jetzt lebfrisch vor euch. Wie ging das zu? Es beschäftigten sich auch andere Tiroler Schreiber mit dem Kalendergedanken. Ende Mai 1919 kamen unser etliche zusammen und diskutierten über die Sache.

Und plötzlich – was gibst, was hast? – war der Beschluss fertig. Wir helfen zusammen und der Tiroler Kalender muss heuer noch heraus! Warum soll der Kalender just heuer erscheinen in der blutharten Zeit? Weil heuer der richtige Termin ist. Man hat in Paris und London unserem Tirolerland das Todesurteil gesprochen, und manche hoffen vielleicht, dass in etlichen Jahren der Name Tirol überhaupt verschwunden ist. Das wolle der Herrgott verhüten, aber auch wir Tiroler wollen das Unsrige beitragen, dass so etwas Ungeheuerliches nicht geschehe. Den Tiroler Geist im Tiroler Volk zu hegen und zu pflegen, das soll die Hauptaufgabe des „Tiroler Kalenders“ sein. Etwas Eigenes hat der „Tiroler Kalender“. Er legt das Hauptgewicht auf das, was in jedem Kalender tatsächlich das Wichtigste ist, nämlich auf das Kalendarium, das ist der christliche Fest- und Heiligenkalender. Das Volk hat vielen Tagen und Zeiten des Jahres eigenartige, volkstümlich Namen gegeben, die leider zum Großteil in Vergessenheit und außer Gebrauch kamen. Der Kalendermann hat nun viele dieser Namen und Bezeichnungen zusammengesucht und sie in den Kalender hineingesetzt. Einige sind in manchen Gegenden noch gang und gäbe, andere sind so schön und tiefsinnig, dass man sie gerne liest und sich daran erfreut, etliche wurden nur der Kuriosität und Altertümlichkeit halber angeführt. Der Kalender soll dadurch einen heimischen, traulichen Zug bekommen.

Wir dürfen doch gewiss hoffen, dass das 1920er Jahr ein volles Friedensjahr wird und dass in diesem Jahre die Letzten vom Kriege, nämlich unsere armen Kriegsgefangenen, samt und sonders nach Hause kommen. Diesen rufe ich ein besonders herzliches „Grüeß Gott“ zu, und das soll so viel heißen wie: „Seid willkommen und lasst es euch in der Heimat gut gehen, damit ihr die schweren Jammer- und Leidensjahre wieder vergessen könnt; was ihr für uns getan habt, das vergessen wir euch nie!“ Ein lautes und herzensheißes „Grüß Gott“ sage ich ferner – und da schießt mir das helle Wasser in die Augen – unseren getrennten Brüdern in Südtirol. Ich mein’ auch, dass der Kalender noch nicht stark in die Jahre geht und noch lange keine grauen Haare hat, bis wir wieder beisammen sind.

Ein eigenes, inniges „Grüeß Gott“ sage ich allen Lesern des neuen Kalenders und das soll so viel gelten wie ein Neujahrswunsch. Wenn ihr’s recht versteht, hat das „Grüeß Gott“ beiläufig den gleichen Sinn wie in der Messe „Der Herr sei mit Euch“. Darum ist auch jedes aufrichtige „Grüeß Gott“ ein Segen. Zwar kommt das neue Jahr, so wie man’s von Weitem sieht, nicht auf Rosenwolken dahergeritten, es bringt auch noch viel Hantiges und Kantiges mit, viel schlechtes Geld [Inflation. Anm.] und teure Waren. Aber mag es bringen, was es will, Süßes oder Saures, Zimt oder Pfeffer, Dornen oder Flaumfedern, wenn Gott mit euch ist und ihr mit Gott seid, wird es für euch doch ein Glücksjahr. Nehmt alles, wie es kommt und geht. Schließlich hören auch die traurigen, schweren Zeiten einmal auf. Nun lasst euch das Schaltjahr 1920 recht freuen und den neuen Kalender auch. Dieser bleibt hier, der Kalendermann aber empfiehlt sich mit einem letzten „Grüeß Gott“.

Der Herr sei und bleibe bei euch und in euren Häuser!

[Reimmichl]